Die Wahrheit ertragen

Die Erschöpfung lag erdrückend auf den Gesichtern der Danamæa.

Henryk Zirkelschmitt blickte hinüber zu seinen Bundesgeschwistern. Ferragash hatte eine tiefe Fleischwunde am Oberschenkel mitbekommen, die nur sehr langsam heilen wollte. Ihre Körper hatten alles gegeben, für schnelle Genesung war nun die Kraft gezehrt. Zirkelschmitt selbst war damit beschäftigt, seine Rüstteile wieder auf Vordermann zu bringen. Wer konnte schon wissen, wann sie wiederkommen würden. Drei Tage war es nun her, als sie den letzten Trupp des Basaltlotus aus der Arbeitssiedlung vertrieben hatten. Seitdem keine Spur. Unermüdlich waren Dione, die sie alle hier nur Schattenkind nannten, Arthalion und vier weitere Danamæa im Letzten Wald unterwegs um zu kundschaften. Aber nichts, es schien vorerst vorbei.

Henryk zog ein stechender Geruch in die Nase. Es war der Qualm des Leichenhaufens, der durch den leichten Regen jetzt noch intensiver zu stinken schien. Das war wohl der Preis der Freiheit – und der Hoffnung. Eine Hoffnung auf eine bessere Zeit, die Erfüllung ihrer Prophezeiung, sie hatte sie getrieben mit aller Kraft. Kein Widerstand war stark genug gegen den Willen der Danamæa, die Knechtschaft zu beenden, Danamos zu befreien. Sie waren so tief in ihrem Herzen davon überzeugt, dass die Zeit der Wiedergeburt gekommen sein musste. Dafür waren sie bereit gewesen bis zum letzten Blutstropfen aufzubegehren. “Das Ende kommt, so oder so”, war einer der letzten Sätze, die eine rüstige Danamæa namens Xipetha zu ihm gesagt hatte, bevor sie bei ihrer nächsten Mission fiel. Aber was, wenn sie die Erwartungen nicht hätten erfüllen können, fragte sich Henryk. Was, wenn sie eben nicht die Glaubensbringer waren, für die sie alle hielten? Was, wenn ihr Wunsch die Wächtern ein neues Leben zu schenken, nichts, aber auch gar nichts mit den Telemachés zu tun hatte?

Dann waren hier Töchter, Söhne, Brüder, Schwestern, Mütter, Väter, Geliebte für umsonst gestorben. Henryk wusste tief in seinem Herzen, dass er auch diese Wahrheit hätte ertragen müssen. Sie wäre auch nur wieder ein Teil der Prüfung, die Sie ihm für das Leben in Ihrem Namen täglich stellte, seine Nachtblaue Königin. Khariklea.

Der neue Name hatte sich binnen weniger Augenblicke in sein Bewusstsein eingebrannt. Genau so sollte es sein, so hatten es die Vier bestimmt. Zumindest er war sich dessen sicher.